Dieser  2-teilige Artikel beschreibt den Weg von klassisch-hierarchischen Unternehmen hin zu demokratischen und sinnbestimmten Unternehmen aus einer persönlichen Perspektive und anhand der „Studie zu nachhaltigen und demokratischen Unternehmen“ des Beraternetzwerkes SustainCo.

Die Auswertung der Antworten von 80 Unternehmen hat in Teil1 gezeigt, dass die Mehrzahl der befragten Unternehmen noch hierarchisch als strategische Unternehmen aufgestellt sind, aber eine Entwicklung hin zu sozial-netzwerkenden und teilweise auch weiter zu generativ-evolutionären Unternehmen anstreben (Abb. 7 in Teil1 & SustainCo 2017).

Das bedeutet einen Abschied von command and control und drückt den Wunsch nach Unternehmensformen aus, in denen der Purpose in Kombination mit demokratischen Führungselementen immer stärker in den Vordergrund rückt.

Teil2: Blick in die Zukunft – Was braucht es für purpose driven Unternehmen?

Unter der Prämisse, dass generativ-demokratisches Wirtschaften ein angestrebtes Zukunftsbild zu sein scheint, gehe ich nun näher darauf ein, was das für Unternehmen bedeutet. Ich demonstriere das anhand drei ausgewählter Aspekte:

  • Unternehmenszweck (Purpose, Werteausrichtung)
  • Entscheidungsfindung und
  • Führungsstil

Von klassisch-hierarchischer zu generativ-demokratischer Unternehmenswelt

Abb. 1: Von der klassisch-hierarchischen zur generativ-demokratischen Unternehmenswelt: Entwicklung von Werten, Entscheidungsverhalten und Führungsstil (Quelle: Schallhart 2017)

Legende zu Abbildung 1

Abb. 2: Legende zu Abb. 1 (Quelle: Schallhart 2017)

Unternehmenszweck – purpose driven

Um den Anforderungen einer postmateriellen Gesellschaft gerecht werden zu können, braucht es eine Orientierung der Unternehmensvision an einem gesellschaftlichen Zweck (Purpose). Der Unternehmenszweck soll eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn eines Unternehmens geben, der über monetäre Erfolge hinausgeht.

Für derzeit noch orange zentrierte Unternehmen stellt dies eine enorme Herausforderung dar. Es bedeutet einen Werte-Shift in Bezug auf die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens. Gewinnmaximierung und rein ökonomischer Erfolg stehen nicht mehr im Vordergrund. Sondern es geht primär um den Impact der Geschäftstätigkeit über die eigenen Organisationsgrenzen hinaus. Bei allen Entscheidungen ist darauf zu achten, dass Umwelt und Gesellschaft aus der unternehmerischen Tätigkeit keinen Schaden erleiden (grün) oder einen Nutzen daraus ziehen (gelb).

Dieser Wertewandel kann nur durch starke Individuen getrieben und aufbereitet werden. Voraussetzung für demokratische und sinngetriebene Unternehmen sind Geschäftsführer, Gründer oder Inhaber, die diese neuen Werte der Ganzheitlichkeit vorleben, die authentisch hinter der Unternehmensvision stehen und diese verkörpern. Die Mitarbeitenden müssen sich mit Vision und Mission des Unternehmens verbinden können, sie sollen sich eingeladen fühlen mitzugestalten. Das gelingt nur dann, wenn die Unternehmenswerte auch zu ihren Werten passen.

Sinngekoppelte Arbeit wirkt sich positiv auf das Engagement der Mitarbeitenden aus. Mitverantwortlichkeit und Umsetzungskraft steigen, wenn Unternehmens- und Individualinteressen im Gleichgewicht sind (Borck 2011, 155ff). Die Menschen im Unternehmen bringen dann ihr ganzes Know-How und kreatives Potenzial ein und tragen damit zur Umsetzung der organisationalen Mission bei.

Ein sinnorientiertes oder purpose driven Unternehmen wird längerfristig nur mit demokratischen Strukturen gut funktionieren – Sinn lässt sich nicht verordnen. Umgekehrt bedeutet der Aufbau einer demokratischen Unternehmensstruktur nicht unbedingt, dass sich im Unternehmen ein evolutionär sinnvoller Unternehmenszweck herausbilden wird.

Beteiligung in der Entscheidungsfindung

Organisationale Demokratie bedingt einen hohen Partizipationsgrad (selbstbestimmte Entscheidungsräume) und institutionalisierte Mitbestimmung (Weinert 2017, 31f). Das bedeutet, dass es Klarheit darüber gibt, wo, wann und wie Mitbestimmung erfolgen kann und dass Meinungs- und Entscheidungsfindung in einem angstfreien Raum stattfinden kann.

Einfluss auf Entscheidungen erhöht die Selbstbestimmung und Gestaltungsmöglichkeiten der Mitarbeitenden, was sich wiederum positiv auf das Erleben von Sinn in der Arbeit und das Engagement der Menschen auswirkt (Weinert 2017, 94ff).

Wichtige Entscheidungen sollen innerhalb des jeweiligen Verantwortungsbereichs auf Augenhöhe getroffen werden. Um qualitätsvolle Mitentscheidung und damit Mitverantwortung möglich zu machen, sind einbeziehende Entscheidungsverfahren erforderlich. Entscheidungsmacht muss geteilt werden. Echte Partizipation bedeutet konsequent durchgedacht, dass im Rahmen von Beschlüssen das Wort von Mitarbeitenden gleich viel gelten muss, als jenes von Vorgesetzten. Entscheidungsmethoden, bei denen der Chef das letzte Wort hat, wie z.B. auch konsultative Entscheidungsverfahren, können diesem Anspruch nicht wirklich genügen.

Auch wenn Mehrheitsbeschlüsse eine demokratische Entscheidungsmethode darstellen, so haben sie doch den Nachteil, dass sie die Entscheidenden in Gewinner und Verlierer teilen, was gerade bei strategisch-wichtigen Entscheidungen nachteilig sein kann.

Im Vergleich dazu strebt der Konsens die Übereinstimmung von Standpunkten an. Da Konsensbeschlüsse die Bedürfnisse aller Mitentscheidenden berücksichtigt, kann der Prozess der Konsensfindung zermürbend und langwierig sein.

Bei soziokratischen Entscheidungen nach dem Konsentprinzip braucht es keine Übereinstimmung von Meinungen und Standpunkten. Zur Beschlussfassung genügt es, wenn es keinen schwerwiegenden Einwand gegen einen Vorschlag gibt (Strauch & Reijmer 2016, 65). Konsententscheidungen gewährleisten im Unterschied zu Mehrheitsbeschlüssen oder Konsensdemokratie sowohl effiziente als auch tragfähige Entscheidungen, die niemanden als Verlierer zurück lassen und sie sichern die Gleichwertigkeit in der Beschlussfassung.

Je stärker Menschen im Unternehmen in Entscheidungen einbezogen werden, umso motivierter und verantwortlicher können sie im Unternehmen agieren.

Führung – partizipativ, Freiraum und Sinn gebend

Die Mitarbeitenden brauchen Gestaltungsfreiheit, um nach ihren Vorstellungen für das Unternehmen tätig werden zu können. Extrinsische Motivation über monetäre Anreize verliert bei intrinsisch motivierten Menschen an Bedeutung.

Konventionellen Führungsmethoden bieten wenig Unterstützung für das Führen von empanzipierten Mitarbeitenden. Auch wenn Management by Objection oder Management by Exception durch Lean Management und situatives Führen ersetzt werden, solange der Vorgesetzte stets das letzte Wort hat, bleibt das klassische Hierarchiemuster Vorgesetzter zu Untergebenen bestehen. Konkrete Ziele von oben zentral vorzugeben, wird kontraproduktiv, da intrinsisch motivierte Mitarbeiter selbstbestimmt und selbstorganisiert arbeiten wollen. Vielmehr müssen Unternehmenszweck und Werte gut im Unternehmen verankert werden, damit Mitarbeiter und Teams die Notwendigkeiten im Unternehmen erkennen und ihre Ziele darauf abgestimmt selbst festlegen können.

Das bedeutet Führen über gemeinsame Werte und eine geteilte Vision statt über Ziele, Incentives oder Anweisungen. Voraussetzung dafür sind Führungspersönlichkeiten, die sich auf partizipative und flexible Führungsmodelle einlassen können und bereit sind, Macht zu teilen und Freiraum zu geben.

Wenn Führen vor allem bedeutet, einen offenen und kreativen Raum zur Verfügung zu stellen und zu halten, dann ist auch darauf zu achten, dass die Zielorientierung nicht verloren geht und die Unternehmenstätigkeiten gut orchestriert werden können. Es braucht einen flexiblen und doch klaren Rahmen für die Verteilung von Verantwortung und Entscheidungsbereichen. Damit Kreativität und produktives Miteinander entsteht, braucht es neben dem individuellen Freiraum auch ein Klima des Vertrauens und ein stabiles Wir-Gefühl. Neben belastbaren persönlichen Beziehungen kann dies durch transparente Kommunikations- und Führungsmodelle unterstützt werden, welche einen ermutigenden und sicheren Rahmen bieten.

In der Führung ist also die Kunst gefordert, Freiraum zu geben und gleichzeitig einen Sicherheit gebenden Raum zu halten, in dem Menschen mitdenken, kreativ sein können und zu initiativen MitgestalterInnen des Unternehmens werden.

Ein flexibles und doch klares Führungsmodell bietet die Soziokratische KreisorganisationsMethode (SKM). In einer soziokratischen Kreisstruktur sind alle Organisationseinheiten über Vision und Mission miteinander verbunden und nach dem Subsidiaritätsprinzip so selbständig wie möglich. Es ist darin auf konsequente und durchgängige Art und Weise definiert, was das Einnehmen einer Führungsrolle bedeutet. Führung bedeutet Raum geben für Entwicklung. Führung bedeutet für einen bestimmten Zeitraum einen Leitungsauftrag für eine Organisationseinheit oder ein Projekt aufgrund einer Wahl übernommen zu haben. Führung bedeutet Verantwortung dafür zu übernehmen, dass diese selbstorganisierte organische Organisationseinheit mit maximalem Gestaltungsfreiraum und gleichzeitigem Commitment einen substanziellen Beitrag zum Unternehmenszweck leisten kann.

Neben dem Top-Down Kommunikationskanal über die Führungspersonen wird über das Delegiertensystem auch die durchgängige Bottom-up Kommunikation gesichert. Über die Delegierten werden die Führungskräfte entlastet und die Mitgestaltungsmöglichkeit jedes einzelnen Mitarbeitenden wird gewährleistet. Menschen in soziokratischen Organisationen werden befähigt, selbstbestimmt und freiwillig am Gelingen des Unternehmenszwecks zu arbeiten.

Zusammenfassung

Traditionelle und ausschließlich gewinnorientierte Vorgehensweisen und Strukturen der klassisch-hierarchischen Unternehmenswelt werden den Anforderungen einer postmateriellen und selbstbestimmten Generation nicht mehr genügen.

In einer generativ-demokratischen Unternehmenswelt verfolgen Unternehmen einen Unternehmenszweck, der einem evolutionär sinnvollen Purpose dient (der über das Eigenwohl hinausgeht) und für die Menschen im Unternehmen sinnstiftend ist. Die Unternehmen setzen diesen dem Gemeinwohl dienenden Unternehmenszweck über demokratische Prozesse und Strukturen um – unabhängig davon, ob das eine Biobäckerei oder ein hochspezialisiertes Dienstleistungsunternehmen ist. Beteiligung und Gleichwertigkeit bei wichtigen Entscheidungen erlauben Selbstbestimmung und unterstützen die Erfahrung von sinnorientierter Arbeit. Partizipative und agile Führungsmodelle ermöglichen flexible Machtverteilung und geben Raum für Kreativität und Selbstorganisation.

So wird ein kooperatives Feld der Potenzialentfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten (ein autopoietisches System) geschaffen, dem sich selbstbestimmte Menschen verbunden fühlen und aus dem heraus schöpferisch-evolutionäre Entwicklung möglich wird und passiert.

Literatur:

[1] Borck, Gebhard (2011): Affenmärchen – Arbeit frei von Lack und Leder. Pforzheim: Beratergruppe sinnvoll wirtschaften

[2] Schallhart, Annemarie (2011): Integrale nachhaltigkeitsorientierte Unternehmensentwicklung, Norderstedt: www.grin.com

[3] Strauch, Barbara & Reijmer, Annewiek (2016): SOZIOKRATIE. Das Ende der Streitgesellschaft. Wien: Soziokratie Zentrum Österreich, The Sociocracy Group

[4] SustainCo (2017): Studie zu nachhaltigen und demokratischen Unternehmen. Lüneburg: http://sustainco.net/studie-nachhaltige-und-demokratische-unternehmen

[5] Weinert, Tim (2017): Mehr Sinn in der Arbeit durch demokratische Personalprozesse?. Stuttgart: www.arbeitswelten-lebenswelten.de

Sichten auf den Sinn

Die Freiräume (Un)Conference 2018 setzt einen Schwerpunkt auf den unternehmerischen Sinn, weil es unserer Meinung nach mehr Aufmerksamkeit dafür braucht.  In unseren Gesprächen mit vielen Freiräumerinnen ist uns immer wieder aufgefallenen, dass Themen rund um den Sinn schwer fassbar und schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Nach ein paar Minuten Diskussion gibt es zwar viele Denkanstöße, jedoch keine gemeinsame Richtung.

Wir lassen daher in einer Serie von Artikeln diverse Menschen ihre Sicht auf das Thema Sinn darstellen und hoffen so, möglichst viele Perspektiven dazu einzufangen, über die wir dann auf der Freiräume (Un)Conference 2018 weiter sprechen können.

Integral-Nachhaltige Unternehmensentwicklung (INU)

Frühe stammesähnliche und impulsiv-imperialistische Unternehmen (violett und rot) sind durch strenge zentrale Hierarchien und hierarchische Umgangsformen (Befehle) geprägt. In loyalen und strategischen Unternehmen (blau und orange) sind Tradition und Gewinnausrichtung bestimmend, über Anweisungen oder Zielvereinbarungen dominieren auch dort noch hierarchische Führungsmodelle. In sozial-netzwerkenden und generativ-evolutionären Unternehmen (grün und gelb) treten dann verantwortungsvolles Wirtschaften, partizipative und innovationsförderliche Führungselemente immer stärker in den Vordergrund (Abb. 1 in Teil 1 & Schallhart 2011, 56ff)

Mehr zum INU-Modell >

Literaturempfehlung zu Soziokratie

Soziokratie - Strauch, Rejmer

Soziokratie: Kreisstrukturen als Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen – Barbara Strauch, Annewiek Reijmer