„Eines Tages kam Alice zu einer Weggabelung
und sah eine grinsende Katze in einem Baum sitzen.
‚Welchen Weg soll ich nehmen?‘, fragte Alice.
‚Wo willst du denn hin?‘, antwortete die Katze.
‚Ich weiß es nicht‘, gab Alice zurück.
‚Dann‘, sagte die Katze, ’spielt es keine Rolle.'“
Lewis Carroll, Alice im Wunderland

In Unternehmen und Teams wird viel über Produkte gesprochen, Prozesse werden weiter entwickelt, der Absatz angekurbelt und die Effizienz gesteigert. Doch selten stellt man sich die Frage: Warum tun wir das alles überhaupt? Wenn eine Vision oder Mission erarbeitet wird, verstaubt sie oft schnell in Schubladen und Dokumenten­verzeichnissen.

Die Erkenntnis wäre eigentlich einfach: Will man etwas tun, das einen Unterschied machen soll, dann muss man wissen oder spüren, worin dieser Unterschied liegen soll. Ein gemeinsames Unterfangen wird einen selbst, die Mitwirkenden und potentiellen Kunden nur vom Hocker reißen, wenn man selbst dafür brennt. Ein Unternehmen sollte einen festen Kern, eine stabile Basis haben, die für alle die zentrale Frage des unternehmerischen Tuns definiert: Was ist unser klares, motivierendes Ziel, der Sinn und Seinszweck unseres Tuns?

Die Frage „Wozu überhaupt das Ganze?“, die Frage nach dem „Why?“, dem Seinszweck der Organisation, dem Purpose, ist für die meisten neuartigen Unternehmen, die sich nicht mehr in Form einer traditionellen Pyramide organisieren, von großer Bedeutung und in ihnen lebendig. Frederic Laloux führt deshalb den „evolutionary purpose“ neben Selbstmanagement bzw. Selbstorganisation und Ganzheit als eine von drei zentralen Eigenschaften neuer Organsiationsformen an.

Uwe Lübbermann, der Eröffnungssprecher der heurigen Freiräume und Gründer von Premium Cola, sieht diesen Seinszweck mittlerweile nicht mehr darin, Getränke herzustellen: „Leckere Colas gibt es genug. Der Bedarf, den wir decken, den anscheinend auch sonst niemand so gut decken kann, ist, dass wir die Bezüge zwischen den Beteiligten besser moderieren, balancieren und zu besseren Lösungen kommen können, als es andere können“, wie er in dem von mir demnächst veröffentlichten Buch über zehn Pionierunternehmen aus D-A-CH zusammenfasst.

Der Seinszweck der Organisation ist den Mitarbeitern im Idealfall präsent und wird von möglichst vielen er- und gelebt. Er bildet den „Leitstern“ zur Ausrichtung der individuellen Tätigkeiten aller Beteiligten auf ein gemeinsames Ganzes hin. Manchmal ist der Seinszweck explizit ausformuliert, der gemeinsame Sinn im Tun kann aber auch ein stark impliziter sein und als stillschweigende Übereinkunft für alle Geltung haben.

Entscheidend kann sein, den Seinszweck und die zentralen Werte der Organisation explizit zu erarbeiten und immer wieder aktiv zu reflektieren und zu bestärken, damit sie Teil der gelebten Organisationskultur werden können.

„Wir wollen die Welt ein Stück sicherer machen.“ lautet der Purpose bei hhpberlin, einem deutschlandweit tätigen Unternehmen, dessen zentrale Expertise im Brandschutz liegt.

Ist das nicht ein Satz, der mitreißt und Emotionen auslösen kann? Wer sagt da nicht, „Ja, das will ich!“? Wann haben Sie das zuletzt erlebt?

In vielen konventionellen Organisationen konzentriert sich die Aufmerksamkeit häufig auf die internen Strukturen und Machtverhältnisse. Viel Energie fließt nach Innen, statt sich auf den gemeinsamen Seinszweck und die Wirkung in der Außenwelt zu richten.

Kapitalgeber erwarten eine Rendite für das eingesetzte Kapital und das übernommene Risiko, je mehr Rendite, desto besser. Eine einseitige kapitalistische Logik wird heute von immer mehr Menschen in Frage gestellt: Wie viel Gewinn ist gerechtfertigt und wo beginnt ein Bereich, ab dem der alleinige Fokus auf Gewinn und Wachstum auf Kosten anderer Akteure im wirtschaftlichen Netzwerk geht oder immer wieder zu Krisen führt? Wie viel Gewinn kann realistischerweise langfristig erzielt werden?

Wirtschaftliche Rentabilität stellt eine notwendige Existenzbedingung dar. Doch lässt sich davon alleine intern oder extern jemand begeistern? Kann das für die Mitarbeitenden oder Kunden einen wesentlichen, spürbaren Unterschied machen? Nachhaltige Zugkraft kann nur das gemeinsame Ziel liefern, das das Unternehmen erreichen will. Menschen, die die Zugkraft des Unternehmenssinns spüren, können daran mitwirken, ihn zu verwirklichen. Vor allem für die Kunden sollte klarwerden, was den Unterschied dieses Unternehmens zum Mitbewerb ausmacht.

Wie kann man das Besondere eines Unterenehmens identifizieren, das einen „wow“ sagen lässt? Vielleicht durch einen Purpose Quest oder eine Visionsentwicklung. Ich habe es als elektrisierenden „Schlag“ erlebt, wenn in der Arbeit am Purpose nach ein paar Stunden des sich langsamen Annäherns, Assoziierens und Brainstormings ein Satz entsteht, der sich schon sehr gut anfühlt, noch ein bisschen gesucht und versucht wird und plötzlich ein paar Worte es schaffen, die Quintessenz aus fast allem bis dahin Gesagten zusammen zu fassen. Plötzlich ist für alle Beteiligten klar: „Da will ich dabei sein!“ ODER „Das war es nicht, was ich wollte.“ In jedem Fall ist damit eine Klärung möglich.

„Man kann stolz darauf sein, für hhpberlin zu arbeiten.“ sagt Stefan Truthän, Geschäftsführer von hhpberlin, eines von zehn Unternehmen aus D-A-CH ist, die ich für ein im Frühjahr erscheinendes Buch analysiert und Schlussfolgerungen daraus abgeleitet habe.

Weitere Beispiele unter www.richardpircher.com

Sichten auf den Sinn

Die Freiräume (Un)Conference 2018 setzt einen Schwerpunkt auf den unternehmerischen Sinn, weil es unserer Meinung nach mehr Aufmerksamkeit dafür braucht.  In unseren Gesprächen mit vielen Freiräumerinnen ist uns immer wieder aufgefallenen, dass Themen rund um den Sinn schwer fassbar und schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Nach ein paar Minuten Diskussion gibt es zwar viele Denkanstöße, jedoch keine gemeinsame Richtung.

Wir lassen daher in einer Serie von Artikeln diverse Menschen ihre Sicht auf das Thema Sinn darstellen und hoffen so, möglichst viele Perspektiven dazu einzufangen, über die wir dann auf der Freiräume (Un)Conference 2018 weiter sprechen können.