Ein Schritt zurück – Demokratie in der Klasse und die Veränderung der Lehrer*innenrolle
Was macht deine Organisation zu einem Pionier?
In unserer Schule bekommen Schüler*innen wöchentlich 3 Schulstunden Raum, um sich selbstgesteuert, selbstorganisiert und eigenverantwortlich mit unterschiedlichen Projekten auseinanderzusetzen.
In Projektgruppen können sie an der Gestaltung ihrer eigenen Zukunft arbeiten. Sie treffen demokratische Entscheidungen, organisieren sich selbst und entscheiden gemeinsam, welche Themen sie vertiefen möchten. Sie übernehmen Verantwortung, lernen unterschiedliche Meinungen zu respektieren und üben sich in Kommunikation und Kooperation – ein wichtiger Bestandteil einer funktionierenden Demokratie.
Die Lehrpersonen treten in diesem Prozess in die Rolle einer Begleitung. Die „gewohnte“ entscheidungstragende Aufgabe entfällt. Ziel ist es den Lernenden zu helfen ihre eigenen Lösungswege zu finden, sie bei Herausforderungen zu unterstützen und Impulse zu setzen.
Die MMS Gratwein gehört zu jenen Schulen in Österreich, die versucht, demokratische Mitgestaltung bewusst in den Schulalltag zu integrieren. Mit dem Freiday wird den Schüler:innen einmal pro Woche Raum für eigenverantwortliches, projektorientiertes Arbeiten gegeben – ein Ansatz, der von traditionellen Unterrichtsformen abweicht.
Ergänzend dazu bietet das Schülerparlament Möglichkeiten, sich aktiv an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und Verantwortung zu übernehmen.
Gleichzeitig erkennen wir, dass es noch sehr viel an Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Künftig sollen nicht nur einzelne Klassen, sondern alle Schüler:innen der Schule stärker in demokratische Gestaltungsprozesse eingebunden werden. So wird Schritt für Schritt eine Organisationskultur aufgebaut, die demokratische Werte nachhaltig verankert.
Wie erlebst du das Spannungsfeld von Autokratie und Demokratie in deiner Organisation?
Birgit: Schule ist für mich persönlich ein sehr hierarchisch durchzogenes Umfeld. Lehrer*innen bekommen vom Ministerium einen Lehrplan vorgegeben, gemeinsam mit Bildungsdirektionen werden Erlässe und Strukturen bestimmt, Schulleitungen und Administrator*innen machen Lehrfächerverteilungen und Stundenpläne und Lehrperson entscheidet tagtäglich vor Ort was passiert. Für Partizipation oder demokratische Prozesse scheint hier wenig Platz zu sein. Doch als erwachsener Mensch hat man (leider oft viel zu gut) gelernt mit Struktur und Hierarchie umzugehen.
Kinder und Jugendliche sollen aber nicht in autokratisch geführten Klassen ihre Zeit verbringen. Sie sollen mitbestimmen dürfen und lernen was es bedeutet Partizipation auch leben zu dürfen. Demokratische Prozesse müssen in der Schule an der Tagesordnung stehen und nicht nur bei der jährlichen Klassensprecher*innenwahl.
Ulrike: Das österreichische Bildungssystem ist geprägt von zentral gesteuerten Strukturen. Lehrpläne und organisatorische Vorgaben werden auf ministerieller Ebene entwickelt und über Bildungsdirektionen an die Schulen weitergegeben. Innerhalb der Schulen bestimmen Schulleitung und Verwaltung wesentliche Rahmenbedingungen wie Stundenpläne und Ressourcenzuteilungen. Auch im Unterricht selbst bleibt die Entscheidungsfreiheit der Schülerinnen oft begrenzt.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich, wie aktuell das Thema „Zwischen Autokratie und Demokratie – Organisationswelten neu denken“ für Schulen ist. Meine bisherigen Erfahrungen bestätigen, dass echte Mitbestimmung und demokratische Prozesse im Schulalltag häufig kaum Platz finden. Einzelne Initiativen, etwa Schülerparlamente oder projektorientierte Lernzeiten, eröffnen zwar Beteiligungsmöglichkeiten, bleiben jedoch die Ausnahme. Eine umfassendere Demokratisierung des schulischen Zusammenlebens ist notwendig, um Schüleri:nnen auf eine aktive Rolle in einer demokratischen Gesellschaft vorzubereiten.
Warum sollte eine Teilnehmerin ausgerechnet zu deiner Pionierstation kommen?
Bei unserer Pionierstation erwartet die Teilnehmer:innen ein Lernformat, das jungen Menschen demokratische Prozesse leben lässt und die gewohnte Hierachie des UNTERrichts durchbricht.
Ein kleiner Einblick in unseren Schulalltag soll eine Vorstellung davon geben, was passiert, wenn Lernende selbst bestimmen können und regelmäßig an demokratischen Prozessen teilnehmen dürfen bzw. müssen.
Welche Fragen bringst du selbst zur Pionierstation mit?
Wie kann Demokratiebildung in der Schule nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch umgesetzt werden?
Wer oder was bestimmt den Schulalltag der Lernenden von heute?

Birgitt Egger

Ulrike Brunner