Katharina Schwarz

Unsere Pionierin Katharina Schwarz hat uns ein paar Leckerbissen aus ihrer Masterarbeit zur Verfügung gestellt. Sie beschäftigt sich mit der Frage wie viel Struktur erforderlich ist, um Flexibilität im Unternehmen und Entfaltungsmöglichkeiten für die MitarbeiterInnen zu erreichen.

Zentrale Gedanken

… Meine These ist, dass die Zeit reif ist, konkreter und vermehrt über die Umsetzung neuer Managementsysteme nachzudenken, die auf demokratischen Prinzipien beruhen und dem Individuum mehr Gehör verleihen. Vor allem Unternehmen, die hochqualifizierte ArbeitnehmerInnen beschäftigen, die mehr Lebensqualität durch eine erhöhte Verknüpfung von Arbeit und Privatleben fordern, könnten davon profitieren. Meine persönliche Motivation zu diesem Thema entspringt der Lebensphilosophie, dass jeder Mensch einzigartig und wertvoll ist, jeder für sich einen sinnvollen Beitrag im Zuge seines Daseins leisten kann, jedoch nur dann, wenn er sich in einem Umfeld befindet, das dies auch zulässt.

Die MitarbeiterInnen haben sich an ein System gewöhnt, in dem man treibt, anstatt zu schwimmen. Auf der Suche nach einer agilen Organisationsform soll der Frage nachgegangen werden, ob Holacracy die Antwort auf die sowohl extern als auch intern steigende Forderung nach Agilität ist …

Leseprobe

Nachfolgend findest Du die gesamte Einleitung aus Katharinas Arbeit.

Vom Assessmentcenter des Traineeprogramms der Stadt Wien wurde ich durch den Geschäftsführer der WRWKS direkt abgeworben und bekam eine fixe Stelle angeboten. Gespannt lauschte ich seinem Angebot, dass ich als seine Assistentin beginnen könnte, er mir als Mentor zur Verfügung stehen würde um mir alles beizubringen was er weiß. „Ich kann dir nicht sagen wo die Reise des Unternehmens oder deine Reise bei uns hingehen wird, was ich aber mit Sicherheit sagen kann ist, dass dir bei uns nie langweilig werden wird“, kann ich mich noch genau an seine Worte erinnern. „Dort oder da, wo immer du Interessantes im Unternehmen entdeckst, kannst du dich hin entwickeln.“
Für jemanden wie mich, Typus Generation Y, der sich ohnehin nie so genau festlegen wollte, war das der Lockruf und Beginn einer Zusammenarbeit, die ich mir nicht besser hätte vorstellen können. Statt einer Reise durch verschiedene Unternehmen der Stadt Wien darf ich die WRWKS auf ihrer Reise begleiten. Dabei lerne ich von einem Visionär, der mir zeigte welche Potentiale und Leistungen sich in einem Umfeld entwickeln, das durch Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung geprägt ist, wenn man nicht merkt, dass Grenzen zwischen privat und beruflich verschwimmen, weil es einfach Spaß macht zu arbeiten. Umso mehr hat es mich beschäftigt, dass dieser Spirit mit dem Wachstum und dem Einzug von Hierarchien und Führungsebenen nicht mehr im ganzen Unternehmen so gelebt wurde. Ein Mensch kann sich nur entfalten, wenn er den Freiraum dazu hat. Stattdessen werden in Unternehmen immer mehr Richtlinien und Grenzen geschaffen. Mein Potential hat sich daher in Richtung Organisationsentwicklung und Veränderung entwickelt und ich fragte mich, wenn die einzige Konstante im Leben die Veränderung ist, gibt es dann nicht ein Managementsystem, das diese These unterstützt?
Meine These ist, dass die Zeit reif ist, konkreter und vermehrt über die Umsetzung neuer Managementsysteme nachzudenken, die auf demokratischen Prinzipien beruhen und dem Individuum mehr Gehör verleihen. Vor allem Unternehmen, die hochqualifizierte ArbeitnehmerInnen beschäftigen, die mehr Lebensqualität durch eine erhöhte Verknüpfung von Arbeit und Privatleben fordern, könnten davon profitieren. Meine persönliche Motivation zu diesem Thema entspringt der Lebensphilosophie, dass jeder Mensch einzigartig und wertvoll ist, jeder für sich einen sinnvollen Beitrag im Zuge seines Daseins leisten kann, jedoch nur dann, wenn er sich in einem Umfeld befindet, das dies auch zulässt.  Externe Einflüsse prägen uns von Beginn an, Sozialisation in der Familie, im Freundeskreis, in der Schule und im Beruf. Das Bündel an Erfahrungen, die im Zuge dessen gesammelt werden, bestimmt unser Sein. Die einzige Chance auf Veränderung ist ein Bruch mit dem Gewohnten, ein Verlernen von erlernten Verhaltensmustern um mutig das eigene Talent und Potential zu entdecken. Von allen Seiten wird Kreativität und Innovation gefordert, daher beschäftigt mich die Frage, wie viel Struktur erforderlich ist, um Flexibilität für ein Unternehmen, und Entfaltungsmöglichkeiten für die MitarbeiterInnen zu erreichen und ob Holacracy dafür die Lösung ist.
„Individualität ist das höchste Gut der Innovation“ (Hengstschläger, 2011)

Einleitung

Der Megatrend der Individualisierung, ausgelöst durch den Wunsch sein Leben selbstbestimmt zu gestalten, äußert sich auf den Märkten durch Multioptionalität. Die Vielfalt an Möglichkeiten löst die Abhängigkeit des Einzelnen von Pflichtkultur. Die Individualisierung hat sich hier längst durch gehobene Ansprüche seitens der KonsumentInnen, sowie durch Produktdiversifizierung und –personalisierung seitens der AnbieterInnen manifestiert. Dank des Wohlstandszuwachses seit den 60er Jahren und der Lockerung von traditionellen Bindungen entstehen mehr individuelle Gestaltungsspielräume. In modernen Gesellschaften kann beinahe jeder sein Leben in Eigenregie führen und nach eigenen Wünschen gestalten, dies betrifft sowohl den Bereich der privaten Lebensführung, die Berufswahl, die Wahl des Wohnortes, sowie die Wahl des Konsums. (vgl. Winterhoff, Kahner, Ulrich et al, 2009, S.14) Mit dem Slogan „MINI Yours – Für Individualisten mit Persönlichkeit“ reagiert beispielsweise der Automobilhersteller MINI genau auf diesen Trend und lässt Kunden und Kundinnen den größtmöglichen Spielraum in der Gestaltung des Fahrzeugs. (vgl. BMW Group, Pressemappe, 2014) Auch Smartphonehersteller setzen darauf und liefern nur ein Grundgerüst. Welche Apps geladen werden entscheidet jeder selbst. 

Mit zunehmender Komplexität und Dynamik der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und technologischen Veränderungen wird von den Unternehmen mehr Flexibilität gefordert. Begründet wird dies durch abnehmende Vorhersehbarkeit und Programmierbarkeit von Abläufen und Entscheidungen durch das Ansteigen der Komplexität und Variabilität der Umwelt. Dies erfordert zudem eine erhöhte Veränderungsbereitschaft der Organisationen und ihrer Mitglieder. (vgl. Gebert, 1974, S.16)

Wie aber spiegelt sich dieser Trend im Innenleben der Unternehmen wieder? Wie wird auf die Individualität der MitarbeiterInnen und deren Bedürfnisse reagiert?
Ausgangssituation und Aktualität des Themas
Frederic Taylor’s Ansatz des Scienific Managements im Jahr 1911 mit dem Grundprinzip der konsequenten Trennung von Denken und Handeln zeigt den Ursprung der klassischen Unternehmenshierarchie und funktionalen Trennung, begründet auf schnell wachsenden Massenmärkten mit wenig intensivem Wettbewerb im Industriezeitalter. Damit konnten gerade in der Produktion wesentliche Effizienzsteigerungen erzielt werden, da Prozesse durch Spezialisierung optimiert werden konnten. (vgl. Taylor, 2011) 

Trotz starker Kritik setzte sich dieses Modell als Antwort auf schnell wachsende Massenmärkte und wenig intensiven Wettbewerb, dominiert durch Monopole und Oligopole durch. Durch Maschinen und Standards war es hier erstmalig möglich Wertschöpfung zu verdrängen. (Pflaegling, 2014, Pos. 188)  Für eine Zeit, in der sich die Managementherausforderung weitgehend auf die Sicherstellung einer effizienten Produktion beschränkte, war es das Management Erfolgsrezept der Industriezeit. Dies funktionierte, in dem Entscheidungen von nur wenigen getroffen wurden, und die Strategien und Produktlebenszyklen lang waren. Die Märkte waren stabil und die Konkurrenz und ihre Handlungen waren vorhersehbar. Nachdem die Auswahl für die KundInnen klein war, war die dementsprechende Abhängigkeit von den AnbieterInnen groß. (vgl. Röösli, 2008, S. 10)

In den 1970er Jahren kehrte Wertschöpfung durch technische Innovationen und den Aufbruch ins Informationszeitalter zurück. Ausgelöst durch die Entstehung globaler wettbewerbs-intensiver Märkte und der Wiederkehr von individualisierter Kundennachfrage. Ein erhöhter Einsatz menschlicher Fähigkeiten in Problemlösungsprozessen wurde durch hoch dynamische Wertschöpfung gefordert. Ein Bedürfnis, das nicht dem Taylorismus und dem daraus entwickelten, bis heute gängigen Organisationsmodell entspricht. (vgl. Pflaegling, 2014, Pos. 194) Trotz Bewusstsein der Geschäftsleitung für die Wichtigkeit von mitdenkenden MitarbeiterInnen, rascher Reaktionsfähigkeit kontinuierlicher Innovation KundInnenfokus und operativer Bestleistung, verbleiben sie mit ihren Managementverfahren in vielstufigen Hierarchien und fixierten Jahresbudgets oft in der Vergangenheit. (vgl. Röösli, 2008, S. 10)

Problemstellung
Mit einer dynamischen und komplexen Marktsituation einerseits und dem Wissenszeitalter andererseits, ändern sich die Anforderungen für Unternehmen. Weg von Standardisierung hin zu individualisierter Kundennachfrage und einem hohen Anspruch an Problemlösungskompetenz und Eigenverantwortung auf Seite der MitarbeiterInnen. (vgl. Pflaegling, 2014) Hinzu kommen die Bedürfnisse der nächsten Generation, die nach Selbstverwirklichung und einer ausgewogenen Work Life Balance streben. Die auf beiden Seiten wachsenden Anforderungen verlangen nun ein System, das der Entwicklung mehr entspricht als das der klassischen Führungshierarchie. (vgl. Cenammo, Garnder, 2008)
Die Wiener Wohnen Kundenservice GmbH wurde von der Autorin für den empirischen Teil ausgewählt, weil sie aus einem besonders hohen Anteil an jungen, hochqualifizierten MitarbeiterInnen besteht, neue Strukturen durch schnelles Wachstum erforderlich sind und ein hohes Maß an Geschwindigkeit in der Umsetzung neuer Anforderungen seitens des Auftraggebers gefordert ist. Die durch das Mutterunternehmen geschätzte Flexibilität eines einstigen Start Ups scheint mit einer MitarbeiterInnenanzahl von über 200 und einer weiteren Tendenz nach oben im derzeitigen klassischen Managementsystem nicht mehr erhaltbar zu sein.
Die klassische Hierarchie und Weisungen von oben stoßen durch den Wunsch der MitarbeiterInnen nach Selbstbestimmtheit an ihre Grenzen. Während 1000 Maßnahmen zur Verbesserung identifiziert werden können, fehlt es an Zeit und an Ressourcen zur Umsetzung. Die MitarbeiterInnen sind auf einem Level, in dem sie passiv darauf warten, dass alles zu ihren Gunsten verändert wird, sie beschweren sich über zu wenig Information, fragen aber nicht nach. Die Diversität steigt und jeder braucht etwas Anderes, bei beschränkten Ressourcen kann nicht für alle eine Lösung gefunden werden, daher müssen sie für die Veränderung selbst die Verantwortung übernehmen. Die MitarbeiterInnen haben sich an ein System gewöhnt, in dem man treibt, anstatt zu schwimmen. Auf der Suche nach einer agilen Organisationsform soll der Frage nachgegangen werden, ob Holacracy die Antwort auf die sowohl extern als auch intern steigende Forderung nach Agilität ist.